UNTERNEHMENSENTWICKLUNG
Spiral Dynamics – Reinventing Organizations: Ein Grundmodell für Kultur- und Unternehmensentwicklung
Das Modell hilft dabei, den aktuellen Entwicklungsstand der Organisation einzuordnen und Impulse zur Weiterentwicklung der Organisation zu geben.
EINE ORGANISATION ALS SOZIALES SYSTEM BEGREIFEN
Die fünf Evolutionsstufen bei Spiral Dynamics
Ähnlich wie das sehr bekannte Modell der 4 Unternehmensstufen von Glasl (Pionierphase, Differenzierungsphase, Integrationsphase, Assoziationsphase), handelt es sich bei dem von Laloux („Reinventing Organizations“) aufgegriffenen Modell Spiral Dynamics um ein Grundmodell für Kultur- und Unternehmensentwicklung. Das Konzept dieser Theorie stammt ursprünglich von Don Beck und Chris Cowan auf der Grundlage der Theorien von Clare W. Graves.
Wirkungsweise
Beim Blick auf Organisationen werden häufig zwei Methapern herangezogen: Zum einen kann eine Organisation als „Maschine“ mit klaren Strukturen und Prozessen angesehen werden, die durch den Unternehmenslenker gesteuert wird. Dies ist auch die betriebswirtschaftliche Perspektive, die auch bei klassischen Unternehmensberatungen Anwendung findet. Eine andere denkbare Sichtweise ist es, die Organisation als ein „Soziales System“ zu begreifen, als ein lebender Organismus mit den interagierenden Menschen mit ihren unterschiedlichsten Einstellungen, Zielen und Lebenshintergründen. Die systemische Organisationsberatung betont eben diese Interaktion und Kommunikation der beteiligten Menschen und setzt hier im Bild des Gärtners Impulse und begleitet den Entwicklungsprozess (vgl. Tool: Systemische Beratung – Grundhaltungen).
Die beiden Perspektiven Organisation als eine Maschine oder als ein lebendiger Organismus mit Interaktion der beteiligten Personen scheinen sich zunächst gegenseitig auszuschließen. Das wäre eine mögliche Sichtweise. Eine andere wäre es zu denken: „Eigentlich ergänzen die Perspektiven sich doch super!“ Mal ganz ehrlich, haben Sie nicht schon einmal in Ihrem Alltag in einer Organisation gedacht: „Klar definierte Strukturen und Prozesse mit entsprechenden Verantwortlichkeiten wären hier angebracht, damit wir unsere Aufgabe sinnvoll erledigen können?“ Vielleicht haben Sie auch erlebt, dass trotz klar definierter Verantwortlichkeiten und einem umfassenden Qualitätsmanagementsystem eine Organisation nicht wirklich vorankommt. Beispielsweise können zwei Abteilungen nicht miteinander kooperieren, was wieder auf die Bedeutung des sozialen Systems hinweist?
Das Stufenmodell Spiral Dynamics
Ein interessantes Rahmenmodell, das verschiedene Perspektiven auf eine Organisation ermöglicht, ist das Stufenmodell Spiral Dynamics. Dieses geht davon aus, dass Organisationen und auch Gesellschaften verschiedene Stufen der Entwicklung durchlaufen. Diese sind jeweils durch eine bestimmte Weltsicht geprägt. Zudem wird auf jeder höheren Stufe ein Durchbruch in der Form der Zusammenarbeit erreicht, ein noch wirkungsvolleres Organisationsmodell entsteht.
Dabei handelt es sich um folgende Stufen:
Impulsive Weltsicht (rot)
Diese ist dadurch gekennzeichnet, dass es (einen) „Macher“ an der Spitze des Unternehmens gibt, der das ganze Unternehmen prägt. Typische Beispiele sind hier inhabergeführte Familienunternehmen, in denen alle zusammenzucken, wenn der Patriarch durch die Gänge schreitet. Vorteile in der Zusammenarbeit ergeben sich dadurch, dass klar ist, wer das Sagen hat (Top-Down-Autorität) und die Aufgaben arbeitsteilig durchgeführt werden. Archetypische impulsive Organisationen sind die Mafia oder Straßengangs. Als Metapher passt auch das Wolfsrudel.
Traditionelle konformistische Weltsicht (bernstein)
Diese ist durch nicht hinterfragte Ordnung und Hierarchien geprägt. Macht wird durch entsprechende Rollen definiert. Beispiele sind hier das Militär, Kirchen und Behörden. Vorteile in der Zusammenarbeit ergeben sich durch stabile Organigramme und wiederholbare Prozesse.
Moderne leistungsorientierte Weltsicht (orange)
Diese ist wiederum geprägt durch wissenschaftlichen Fortschritt, individuelle Leistung und ausgeprägten Materialismus. Als typische Beispiele dienen hier insbesondere multinationale börsennotierte Unternehmen. Strategisches Handeln, Führen nach Zielen und individuelle Prämien sind Schlagworte, die hier auftauchen. Die Vorteile zeigen sich in einer hohen Verlässlichkeit (und angenommene Planbarkeit) und zahlreichen Innovationen, um im Wettbewerb bestehen zu können.
Postmoderne pluralistische Weltsicht (grün)
Sie ist geprägt durch eine wertorientierte Kultur. Die gemeinsamen Werte leiten das Unternehmen dabei tatsächlich und werden nicht nur dazu genutzt, das eigentliche Streben nach Gewinn und Marktanteil zu verdecken. Umfangreiche formale Regelungen sind aufgrund der geteilten Werte häufig überflüssig. Entscheidungen finden nicht mehr zentralisiert über die Hierarchie statt, sondern werden auf die unterste Ebene verlagert.
Integrale-Evolutionäre Weltsicht (blau-grün, teal)
Diese zeichnet sich insbesondere dadurch aus, dass sie die vorangegangenen Phasen integriert. Während auf den vorherigen Phasen davon ausgegangen wird, dass die eigene Weltsicht die „einzig richtige“ darstellt, ist eine Organisation auf der integral-evolutionären Stufe in der Lage, „alle Farben zu spielen“, wenn dies angemessen erscheint. Wenn es zur Erreichung der höheren Ziele notwendig ist, befähigen sich integral-evolutionäre Organisationen auch zu Leistung, Effizienz, und Macht. So wäre es beispielsweise für ein entsprechendes Integrationsunternehmen selbstverständlich, immer pünktlich und in guter Qualität zu liefern, auch wenn dies besondere Anstrengung erfordert (Leistung, Effizienz) oder ein Mitarbeiter einmal eine heroisch anmutende Aktion (Macht) durchzieht.
Kommentar
Nimmt man die eingangs erwähnten Metaphern zu Hilfe, so passt die traditionelle-konformistische Weltsicht und die moderne leistungsorientierte Weltsicht recht gut zur Metapher der Maschine, während die postmoderne pluralistische Weltsicht die Organisation als soziales System versteht. Die integrale-evolutionäre Weltsicht überwindet dieses „Entweder-oder-Denken“ und integriert beide Sichtweisen auf einer höheren Ebene.
Typische Kennzeichen integral-evolutionärer Organisationen sind (nach Laloux):
- Selbstführung: Kernelement selbstführende Teams von 10-12 Mitarbeitern, die Managementaufgaben unter sich aufteilen.
- Ganzheit: durch eine sichere Umgebung können sich die in der Organisation tätigen Menschen mit ihren vielen Facetten ihrer Persönlichkeit einbringen, statt sich hinter einer professionellen Maske zu verstecken und ständig unter dem Druck zu stehen, in Meetings gut auszusehen und Recht zu haben.
- (Evolutionärer) Sinn: Hier geht es um die individuellen und kollektiven tiefdringenden Fragen, wie: Was ist meine Berufung? Welche Ziele lohnen sich wirklich?
Praxisbeispiel
Ein mittelständisches Unternehmen aus der Energiewirtschaft, bisher in öffentlicher Hand, soll privatisiert werden, um befreit von der engen politischen Steuerung verstärkt nach markwirtschaftlichen Prinzipien zu agieren und die Wettbewerbsfähigkeit herzustellen. Die strategische Ausrichtung sieht vor allem die Fokussierung auf erneuerbare Energien, verbunden mit lokal verortetem Ansatz vor. Bislang war das Unternehmen stark durch die Verwaltungsstrukturen geprägt, die Vergütung erfolgte nach dem Tarifwerk des öffentlichen Dienstes, der Betriebsrat hat bisher alle (prinzipiell) möglichen individuellen Zulagen/Prämien blockiert. In einer „Strategieklausur“ kommt das Leitungsteam angeregt durch einen externen Berater mit dem Thema „Agile Organisation“ in Kontakt.
Da die Dimension „Evolutionärer Sinn“ der integral-evolutionären Weltsicht durch die starke Identifikation mit der Ausrichtung auf erneuerbare Energien bereits gegeben zu sein scheint, soll als nächster Schritt das Thema „Selbststeuerung“ stark vorangetrieben werden. Zügig werden die Mitarbeiter gemäß ihrer Standorte in funktionsübergreifende Teams zusammengestellt, die Verwaltungstätigkeiten werden in zentralen Dienstleistungszellen gebündelt, die als reiner Dienstleister ohne Rechte der Steuerung den dezentralen Einheiten als Ansprechpartner zur Verfügung stehen (vgl. Tool Agile Netzwerkorganisation). Nach kurzer Zeit zeigt sich jedoch, dass die Abstimmung zwischen den einzelnen Einheiten stark eingeschränkt ist. Termine und Absprachen werden nicht eingehalten, Prozesse und Zuständigkeiten sind nicht geklärt. Zuletzt sind die Mitarbeiter nicht bereit, die stark gestiegene Arbeitsbelastung und die steigenden Überstunden mitzutragen.
Unternehmensentwicklung mit Spiral Dynamics
Wenn wir nun unser oben beschriebenes Stufenmodell Spiral Dynamics zu Hand nehmen, können wir uns als erstes die Frage stellen: Auf welcher Stufe steht denn die Organisation nach aktuellem Stand? Die starke politische Prägung, die Orientierung an einem Tarifvertrag ohne individuelle Leistungsanreize lassen vermuten, dass die Organisation sich aktuell auf der Ebene der „traditionell-konformistischen“ Organisation befindet. Mit der Orientierung an einem übergeordneten Sinn (erneuerbare Energien voranzubringen) schimmern gleichzeitig Elemente der postmodernen, pluralistischen Weltsicht durch.
Das Zielbild des Managements scheint sich wiederum stark an der integralen-evolutionären Organisation zu orientieren. Die aktuellen Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit/Abstimmung könnten als Hinweise interpretiert werden, dass die Organisation auf Ebene der traditionell-konformistischen Organisation (klare Zuständigkeiten und Regeln) sowie auf Ebene der modernen-leistungsorientierten Organisation (effiziente Prozesse, individueller Einsatz und Leistungsbereitschaft) noch „Hausaufgaben“ zu erledigen hat. Ist der „direkte“ Sprung drei Ebenen nach oben vielleicht eine Überforderung der Organisation? Wie könnten zum aktuellen Entwicklungsstand passende Interventionen geplant und umgesetzt werden, um die Entwicklung der Organisation möglichst passgenau zu begleiten? Diese Fragen gilt es in einer Beratung mit den Beteiligten zu klären und mithilfe von Spiral Dynamics gemeinsam nach Antworten zu suchen.
Eigene Übung
Die spannende Frage ist jetzt: Woran erkennen Sie auf welcher Stufe bei Spiral Dynamics sich die Organisation befindet, für die Sie aktuell arbeiten? Laloux empfiehlt darauf zu achten, auf welche Art und Weise die Organisation „gemanagt“ wird (Managementpraktiken). Wird hier vor allem auf die Einhaltung der Regelungen eines Organisationshandbuchs gepocht („Das sind unsere Spielregeln, an die haben sich alle zu halten!“ = traditionelle konformistische Organisation), wird die Leistung (einzelner) stark hervorgehoben und möglicherweise mit einer Prämie gesondert vergütet (=moderne leistungsorientierte Organisation). Oder es lässt sich eine gewisse Abneigung gegenüber Hierarchien und starke gemeinsame Werte (z.B. Nächstenliebe) beobachten?
Natürlich handelt es sich hierbei immer um eine Vereinfachung. In der Praxis weisen die Organisationen verschiedene „Farben“ aus, allerdings gibt es doch häufig Schwerpunkte. Das Rahmenmodell kann dazu inspirieren, auch mal die gewöhnlichen Pfade zu verlassen und das eigene Denken und Handeln zu flexibilisieren, um auf allen Ebenen agieren zu können. Ein mögliches Ziel einer Beratung könnte sein, eine traditionelle-konformistische Organisation durch geeignete Interventionen bei „ihrem Sprung“ auf die nächste Stufe der modernen leistungsorientierten Organisation zu unterstützen, wenn denn der richtige Zeitpunkt für einen solchen Sprung gekommen ist.
Unser Tipp
Das herausragende Buch von Frederic Laloux lautet
- Reinventing Organizations: Ein Leitfaden zur Gestaltung sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit. München: Verlag Franz Vahlen.
- Reinventing Organizations: Ein illustrierter Leitfaden zur Gestaltung sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit. München: Verlag Franz Vahlen.