ORGANISATIONSENTWICKLUNG

Die fünfte Disziplin von Peter Senge: Personal Mastery, Mentale Modelle, gemeinsame Vision, Teamlernen und Systemdenken

Peter Senge entwickelt in seinem Change Management- Klassiker neue Ansätze des Denken und Handelns, um die Lernfähigkeit von Teams und Organisationen zu steigern und mit der hohen Komplexität und Dynamik der (Organisations-) Umwelt umgehen zu können.

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EVOLUTIONÄRE ORGANISATIONSENTWICKLUNG

Organisationen an sich wandelnde Umwelten anpassen

Die klassische Betriebswirtschaftslehre versteht Organisationen als (gut zu ölende) Maschinen: Einzelne Rädchen greifen ineinander und transformieren in einem komplexen, jedoch nachvollziehbaren Prozess, den Input (wie Arbeitskraft oder Kapital) in einen Output (Produkte und Dienstleistungen). Aus diesem Blickwinkel ist eine Organisation direkt steuerbar, in der Regel durch die Organisationsleitung (Vorstände und Geschäftsführer), die im Bilde des Kapitäns auf einem großen Schiff am Steuerrad dreht und die Organisation auf den gewünschten Kurs lenkt.

Angesichts der heutigen Komplexität der Organisationsumwelt ist klar, dass diese Herangehensweise alleine schnell an ihre Grenzen kommt. Wie ist beispielsweise die (Weiter-) Entwicklung von Organisation zu verstehen? Wie passen sich Organisationen an eine wandelnde Umwelt an und wie findet Lernen statt? Reicht hier tatsächlich der „schlaue Kapitän an der Spitze“, der den ausführenden Einheiten unter sich sagt, in welche Richtung es gehen soll? Aufbauend auf solchen und ähnlichen Fragen, entwickelte Peter Senge 1990 in seiner Erstauflage „Die fünfte Disziplin.“ Damit schuf er eine neue Sichtweise, die das Managementdenken revolutionierte und bis heute beeinflusst.

Wirkungsweise die fünfte Disziplin

Peter Senge berschriebt folgende fünf Disziplinen:

Personal Mastery

Hier handelt es sich um die persönliche „Meisterschaft“, seine eigenen wahren Ziele konsequent zu verfolgen. Hier kann der Vergleich mit einem  Künstler gezogen werden, der ein Kunstwerk schafft. Er ist offen für Neues und hört nie auf zu lernen. Die eigene persönliche Vision wird kontinuierlich geklärt. Es geht darum, sich klar zu werden, was uns wirklich wichtig ist und das Leben dann konsequent in den Dienst dieser höchsten Ziele zu stellen. Der Abgleich der persönlichen Vision mit der aktuellen Realität erzeugt eine „kreative Spannung.“ Diese fungiert als innere Antriebsfeder für Veränderung und Lernen.

Der Autor der fünften Disziplin, Peter Senge, bezeichnet dies als die „geistige Grundlage“ der lernenden Organisation: „Das Engagement einer Organisation, lernen zu wollen, kann immer nur so groß sein, wie das Engagement ihrer Mitglieder“. Nach Senge fördert jedoch nur eine überraschend geringe Anzahl von Organisationen das Lernen ihrer Mitglieder in dieser Hinsicht.

Mentale Modelle

Hierbei handelt es sich um unsere tief verwurzelten Annahmen und Einstellungen darüber, wie die Welt funktioniert oder „wirklich“ ist. Diese Annahmen sind uns oft gar nicht explizit bewusst, reduzieren aber stark die Handlungsoptionen, die uns scheinbar zu Verfügung stehen. Wenn ich als Führungskraft davon ausgehe, dass Menschen nur durch Geld und andere materielle Anreize motivierbar und ansonsten eher arbeitsscheu und faul sind, dann werde ich mich auch dementsprechend meinen Mitarbeitenden gegenüber verhalten.

Auch auf der Gesamtunternehmensebene kann solch eine, möglicherweise existenzgefährdende, Sichtweise auftreten: So verpasste Nokia die Entwicklung vom Handy mit Tastatur zum Smartphone mit Touchscreen und ist heute in diesem Geschäftsfeld nahezu zur Bedeutungslosigkeit geschrumpft. Möglicherweise hielten die entsprechenden Manager das „Wischen“ für unseriös oder kindlich und es gelang ihnen nicht, diese Annahmen (mentalen Modelle) kritisch zu hinterfragen. Ziel ist es, hier die inneren Bilder von der Welt aufzudecken und an die Oberfläche zu holen, um sie einer kritischen Überprüfung zu unterziehen. Dies betrifft beim „institutionellen“ Lernen insbesondere, die durch das Management geteilten Annahmen in Bezug auf das Unternehmen, seine Märkte und Wettbewerber.

Die Fünfte Disziplin Agilität Peter Senge

Gemeinsame Vision

Ohne eine gemeinsame Vision gibt es keine lernende Organisation. Eine Vision ist mehr als eine Idee, sondern eine Kraft im Herzen der Menschen, die sie über sich selbst hinauswachsen lässt. Sie ist Schwerpunkt und Energie für das Lernen und die Antwort auf die Frage „was wollen wir erschaffen?“. Sie ist ein Bild der möglichen und erwünschten Zukunft. So formulierte beispielsweise John F. Kennedy 1961 die Vision: Am Ende des Jahrzehnts haben wir einen Mann auf dem Mond. Diese motivierte zu zahlreichen kühnen und mutigen Taten. Dabei basiert ein echtes Interesse an der gemeinsamen Vision immer auf persönlichen Visionen (vgl. Personal Mastery). Deshalb haben lernende Organisationen ein großes Interesse, die Mitglieder dabei zu unterstützen, ihre persönlichen Visionen zu entwickeln.

Die gemeinsame Vision ist die natürliche Folge der Interaktion individueller Visionen. In einem Prozess des Mitteilens und Zuhörens, werden die unterschiedlichen Visionen erkundet, um zu tieferen, gemeinsamen Vision zu kommen. Diese stillt das in uns Menschen angelegte Bedürfnis gemeinsamer Identität und Arbeit an einem höheren Zweck. In einer lernenden Organisation zwingt dieser höhere Zweck die beteiligten Personen, tatsächlich neue Denk- und Handlungsmuster zu ergreifen. Da Lernen auch mitunter schmerzlich sein kann, benötigt eine wirkliche Änderung die Anziehungskraft des übergeordneten Ziels. Wichtiger ist dabei nicht die Vision selbst (oder die elegante Ausformulierung derselben), sondern das, was sie bewirkt. Dabei gilt es, diese Vision auch bei der Beschäftigung im Alltag nicht aus den Augen zu verlieren. Sondern den Alltag im Lichte dessen, wie die Realität (auch) aussehen könnte (=Vision) zu untersuchen und konkret in das eigene Handeln einfließen zu lassen.

Visionen sind dabei ein Teil umfassenderer Aktivitäten zur Entwicklung von „Leitgedanken“ mit den Inhalten:

  • Vision = Das Bild der Zukunft, die wir erschaffen wollen („Was?“)
  • Mission/Zweck = Erklärt den (gesellschaftlichen) Nutzen, beziehungsweise, warum es Unternehmen gibt („Warum?“)
  • Grundwerte = Wie handeln wir in Übereinstimmung mit unserer Mission, während wir die Verwirklichung unserer Vision anstreben? Sie definieren, wie der Alltag im Unternehmen aussehen soll, währen die Vision verfolgt wird („Wie?“)

Teamlernen

Fast alle Entscheidungen werden heutzutage in Teams getroffen oder durch Teams vorbereitet. Deshalb kommt dem Teamlernen eine herausragende Rolle auch beim organisationalen Lernen zu. Es wird zu einem Mikrokosmos für das Lernen der ganzen Organisation. Teamlernen ist dabei der Prozess, bei dem ein Team, seine Fähigkeit die angestrebten Ziele zu erreichen, kontinuierlich erweitert. Spitzenteams bestehen dabei aus herausragenden Einzelpersonen, die zudem eine gemeinsame Vision verfolgen. Dabei wird die Energie der Gruppe auf ein gemeinsames Ziel ausgerichtet („alignment“).

Der gemeinsamen Vision wird dabei nicht einfach nur zugestimmt, diese ist eine Erweiterung der persönlichen Vision. Schlechte Teams zeichnen sich durch eine Verschwendung von Energie aus. Die einzelnen Teammitglieder arbeiten möglicherweise recht hart, aber da jeder „in eine andere Richtung arbeitet“, erfolgt keine Übersetzung in erfolgreiche Teamanstrengung. Wesentliche Techniken des Teamlernens, sind die bewusste und wechselseitige Anwendung von Dialog und Diskussion. Der Dialog zielt dabei darauf, mithilfe von Fragen die andere Sichtweise besser zu verstehen und somit gemeinsam auf einer höheren Ebene ein Verständnis zu erhalten.

Bei der Diskussion hingegen werden Argumente ausgetauscht, etwa auf der Suche nach der bestmöglichen Entscheidung. Im Organisationsalltag sind häufig zwei Muster zu beobachten: Entweder vermeiden Teams jede Auseinandersetzung über Unterschiedlichkeiten oder es kommt zu einer argumentativen Massenschlägerei („Abstraktionskrieg“). Damit Teams die notwendige Erkundungs- und Reflexionsfähigkeit zuverlässig (und auch in Stresssituationen) beherrschen, benötigen sie die Möglichkeit, diese entsprechend zu üben. Hierfür muss die Organisation einen entsprechenden Rahmen bieten.

Systemdenken

Von unserer Kindheit an werden wir trainiert, Dinge in Einzelteile zu zerlegen und zu betrachten. Dieser stark analytische Zugang, setzt sich auch in der universitären Ausbildung fort. Hier dominiert eine „naturwissenschaftliche“ Herangehensweise, die nach linearen Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen sucht. Das als fünfte Disziplin bezeichnete Systemdenken soll dabei helfen, diese isolierte Betrachtungsweise zu überwinden und (wieder) das Gesamtbild in den Blick zu nehmen. Es geht darum, übergreifende Muster besser zu erkennen und diese auch beeinflussen zu können.

Kommentar

Im Gegensatz zu anderen auf unserer Website beschriebenen „Tools“, handelt es sich bei „Die fünfte Disziplin“ ja mehr um ein grundlegendes Rahmenwerk, dass unser Denken (und Handeln) herausfordern und erweitern soll. Bei genauem Hinsehen wird deutlich, dass viele der Standardtools in Training und Beratung, sich konzeptionelle mit der fünften Disziplin in Verbindung bringen lassen. Dies betrifft beispielsweise die klassischen Feedbacktools, die darauf abzielen, mentale Modelle aufzudecken und das Teamlernen zu fördern.

Praxisbeispiel

Einige Elemente der fünf Disziplinen lassen sich relativ gut in Start-Ups beobachten. I.d.R. finden hier Menschen zusammen, die eine gemeinsame Vision verfolgen, die ihre persönlichen Visionen auf einer höheren Ebene vereint. Da es noch wenige (organisationale und zwischenmenschliche) Routinen gibt, herrscht eine Atmosphäre der Neugierde und Abenteuerlust. Diese wiederum begünstigen die Techniken des Dialogs und der Diskussion beim Teamlernen. Die Herausforderung für wachsende und größere Organisation ist es dann, einerseits wieder zu entdecken, wo die zarten Pflanzen der „Start-up-Mentalität“ auch immer noch in der Organisation vorhanden sind und diese zu fördern. Zudem gilt es, bewusst Räume für die Entwicklung des Umgangs mit mentalen Modellen, Teamlernen, gemeinsamenVisionen und Personal Mastery zu entwickeln und zu ermöglichen.

Bei der 5. Disziplin, dem Systemdenken, wiederum ist es, neben einem Verständnis und der entsprechenden Einstellung, für die konkrete Wirksamkeit sehr hilfreich, wenn die Organisationsteilnehmer die „Sprache der 5. Disziplin“ erlernen. Dabei handelt es sich um sogenannte „Systemarchetypen“, die häufig anzutreffenden Kreisläufe und Wechselwirkungen in Organisationen beschreiben. Diese sollen die ansonsten einzig gebräuchliche Geschäftssprache, die Sprache des Rechnungswesens, ersetzen bzw. ergänzen.

Eigene Übung

Wollen Sie den Entwicklungsstand in Ihrer Organisation beobachten, so könnten Sie sich beispielsweise fragen: „Wie lautet eigentlich unsere offizielle Vision?“. Kennen Sie diese selbst? Oder müssen Sie erst auf der Website googeln? Sie können ja auch mal Ihre Kollegen in der Mittagspause befragen. Wird die Vision „heruntergeleiert“ (=auswendig gelernt) oder wird sie etwa in einem Bild mit Leuchten in den Augen erzählt? Stimmen Sie der Vision nur rational zu, „ja, genau das sollen wir erreichen…“?  Oder löst diese bei Ihnen auch (positive) Emotionen aus und ist diese eine Erweiterung Ihrer persönlichen Vision?

Wenn Ihnen die Vision bekannt ist, können Sie auch einmal beobachten, ob diese denn reale Wirkung auf das Handeln in der Organisation hat oder eben nur ein schöner schnittig formulierter Text ist (Bullshit-Test). Denn es gilt: Eine Vision ist nur so gut wie die Wirkung, die sie verursacht. Haben Sie selbst oder andere Organisationsmitglieder an diesem Tag Entscheidungen getroffen, die in Einklang mit der Vision stehen bzw. von dieser inspiriert wurden?

Eine weitere Möglichkeit ist es, dass Sie in Ihren Besprechungen notieren, wie viele (Verständnis-) Fragen gestellt werden. Sie werden eventuell erstaunt feststellen, dass viele Meetings vergehen, ohne das wirklich Fragen an das Gegenüber gestellt wurden, die die ehrliche Absicht beinhalten, dessen Sichtweise zu verstehen (Mentale Modelle), mit dem Ziel, gemeinsam über die eigenen Annahmen und Weltbilder hinaus zu einer noch besseren Entscheidung zu kommen (Teamlernen).

Überlegen Sie doch, vielleicht fällt Ihnen selbst auch noch ein kleiner „Test“ ein, um das mögliche Vorhandensein/die Ausprägung einer der fünf Disziplinen in Ihrer Organisation „abzuklopfen“. In der Summe bleibt das Buch eines der Bücher, die man als im Rahmen von Organisationsentwicklung gelesen haben MUSS! – Achtung, oder handelt es sich bei dieser Aussage um ein zu hinterfragendes mentales Modell des Autors?!?

Unser Tipp

  • Senge, Peter: Die fünfte Disziplin: Kunst und Praxis der lernenden Organisation- Schaeffer-Poeschel Verlag