Führung ist teilbar

Selbstorganisation im Team – Megatrend New Work

Selbstorganisation oder Wie funktioniert ein selbstführendes Team? New Work und Agiles Team

Chefsache wird Teamsache- selbstführende Teams

Im letzten Jahr habe ich ein Team in einem mittelständischen Unternehmen auf dem Weg in die Selbstorganisation begleitet. Die Stelle der Abteilungsleitung war seit einem halben Jahr unbesetzt – der Geschäftsführer zeigte Interesse für agile Arbeitsformen und New Work. So hat er sich gegen die Neuausschreibung der Abteilungsleiterstelle und für den Aufbau eines selbstorganisierten Teams entschieden.

In diesem Blogartikel teile ich meine Erfahrungen bei der Prozessbegleitung und verrate einige Praxistipps, wie Selbstorganisation oder Selbststeuerung in Teams umgesetzt werden kann.

Was ist Selbstorganisation?

„Führung ist teilbar.“ So lautet ein Grundsatz von Selbstorganisation, der sich klar und deutlich von der Annahme „Führung ist die Aufgabe Einzelner“ abgrenzt. Wie diese kleine Richtlinie bereits andeutet, sind bei der Selbstorganisation im Team die Aufgaben einer Führungskraft auf die verschiedenen Schultern mehrerer Mitarbeitenden verteilt. Im Umkehrschluss erhalten diese mehr Verantwortung – das selbststeuernde und agile Team muss allerdings nicht ohne klare Kompetenzen und Spielregeln auskommen. Ganz im Gegenteil. In einem selbstorganisierten Team kennen Mitarbeitende ihre Befugnisse und sind bereit, Verantwortung zu übernehmen. Die (Hierarchie-) Pyramide ist gedreht und die Mitarbeitenden sind in der Lage und motiviert, einen Großteil der Entscheidungen eigenständig oder in Teamarbeit zu treffen.

Was ist der Gewinn von Selbstorganisation?

Unklare Verantwortungsbereiche? Schlecht kommunizierte Timings? Angst vor ungleicher Arbeitsverteilung? Für manche mag Selbstorganisation noch anfangs wie ein unkoordiniertes Horrorszenario wirken. Und an dieser Stelle ist die Frage nach dem Sinn und Profit von Selbstorganisation durchaus berechtigt. Der größte Effekt dieser umgekehrten Pyramide lässt sich innerhalb des Teams beobachten: Gelingt Selbstorganisation, hat das positive Auswirkungen sowohl bei den Mitarbeitenden, als auch bei der Organisation und bei den Führungskräften selbst. Kurz gesagt: Erfolgreiche Effekte auf allen Ebenen.
Mitarbeitende mit hoher Entscheidungskompetenz und Einfluss, haben eine höhere intrinsische Motivation und fühlen sich selbstwirksam. Dadurch steigt die Identifikation mit dem Unternehmen und der Aufgabe – und damit verbessern sich auch Produktivität und Effektivität.

Motivation und Selbstwirksamkeit im selbstorganisierten Team


Die Auswirkungen von Selbstorganisation sind allerdings nicht nur auf internem Level spürbar, sondern auch insbesondere im Hinblick auf äußere Einflüsse, denen sich Unternehmen heute stellen müssen. Ein gutes Beispiel bietet die zunehmende Generationenkluft: Nachkommende und jüngere Generationen von Mitarbeitenden haben andere Wertesysteme und ein anderes Menschenbild. Tradierte und konservative Hierarchiestrukturen stellen für beide Seiten eine immense Herausforderung dar. Dementsprechend steigert sich mit der Integration von neuen Arbeitsformen auch die Attraktivität einer Organisation auf dem Arbeitsmarkt.
Auch unabhängig von dem Recruiting neuer Mitarbeitenden wirkt sich Selbstorganisation auf externe Faktoren aus: Unternehmen werden dadurch flexibler, agiler und können deutlich zeitnaher auf sich schnell verändernde Rahmenbedingungen reagieren.

In klassischen, hierarchischen Strukturen stellen Führungskräfte häufig die sogenannten „Flaschenhälse“ dar, die mit operativem Tagesgeschäft überlastet sind und Entscheidungen verzögern, da sie über verschiedene Hierarchieebenen hinweg geklärt werden müssen. Und auch für sie bringt Selbstorganisation spürbare Vorteile mit sich: Die Führungskräfte sind durch die neue Arbeitsform vom operativen Tagesgeschäft entlastet und können sich wieder größeren, strategischen Themen widmen.

Die sieben Erfolgskriterien für die Selbstorganisation in Teams

Im Folgenden ziehe ich mein persönliches Fazit aus diesem Implementierungsprozess und formuliere sieben Erfolgskriterien.

1. Initialzündung und Entscheidungsmacht

Zum Start von Selbstorganisation braucht es zunächst eine klare Entscheidung auf höchster hierarchischer Ebene mit einem eindeutigen Committment. Nach dem Abschnitt zum Gewinn bei Selbstorganisation könnte man sich jetzt folgende Frage stellen: „Zielt Selbstorganisation nicht auf den Abbau von Hierarchie und auf die Entwicklung agilerer Arbeitsformen ab?“ Diese Aussage ist zwar richtig, allerdings macht ein zweiter Blick auf die interne Organisation deutlich, dass ein solcher Change Prozess Irritationen und Widerstand mit sich bringt. Deshalb ist die Entscheidungsmacht auf höchster Ebene notwendig. Zudem fällt an dieser Stelle auch die Entscheidung, wie weitreichend die Selbstorganisation implementiert werden soll. Bekommen einzelne Aufgabenbereiche vermehrt Eigenverantwortung? Wird eine Abteilung selbstorganisiert? Oder soll sogar ein ganzes Unternehmen transformiert werden?
In meinem Beispiel des mittelständischen Unternehmens fanden diese Vorüberlegungen in einem Coaching mit dem Geschäftsführer statt. Dabei ist die Entscheidung für ein evolutionäres Vorgehen und gegen die Transformation des ganzen Unternehmens gefallen.
Der erste Schritt war daher, die Abteilungsleitung nicht neu zu besetzen, sondern das Team im Prozess zu einer selbstfürenden Abteilung zu begleiten. Dieses selbststeuernde Team wurde im Unternehmen als Pilotprojekt definiert. Die Option, dass auch weitere Abteilungen folgen könnten, ist aber gegeben.

2. Situationsanalyse – Reifegrad der Organisation und des Teams

Nicht jeder Mitarbeitende ist geeignet und bereit für selbstorganisiertes Arbeiten. Es gibt immer Teammitglieder, die eine klare und hierarchische Führung bevorzugen und mit zu viel Verantwortung nicht umgehen können. Deshalb ist es unerlässlich, eine Potenzialanalyse des Teams durchzuführen und den Reifegrad des Teams zu definieren. Jedoch sollte man auch einen Generationenwandel berücksichtigen: In meinen Augen steigt mit der neuen Generation an Mitarbeitenden die Zahl derer, die bereit für eigenverantwortliches und selbstorganisiertes Arbeiten sind.
In dieser Phase haben wir mit verschiedenen Reifegradmodellen, beispielsweise nach Hersey und Blechard, das Team analysiert und uns ein Bild über die Erfolgsaussichten von Selbstorganisation verschafft. In diesem frühen Prozessstadium war eine (bisherige) Teamleiterin involviert, die als Innovationstreiberin im Team neuen Arbeitsformen sehr offen gegenüberstand und im Rahmen der Neuausrichtung dazu bereit war, ihre Führungsrolle aufzugeben. Mit ihrer Zustimmung und dem positiven Ergebnis der Analysephase fiel dann die Entscheidung, sich auf den gemeinsamen Weg hinzu Selbstorganisation zu begeben.

3. Klares Rollenset

Im vorherigen Part habe ich einen Grundsatz von Selbstorganisation vorgestellt: „Führung ist teilbar!“ Die Verantwortungsbereiche einer Führungskraft sind vielfältig, weshalb wir davon ausgehen können, dass die Aufgaben wie ein Kuchen in verschiedene Stücke aufgeteilt werden können. Keine Führungskraft hat in allen Bereichen gleich große Kompetenzen, sondern wie jeder Mensch hat auch sie besondere Stärken, Vorlieben und Schwächen. Der Vorteil von Selbstorganisation ist, dass diese Aufgaben entsprechend den Kompetenzen der Mitarbeitenden aufgeteilt werden. So haben alle Beteiligten die Möglichkeit, Verantwortungen entsprechend ihrer jeweiligen Talente und intrinsischen Motivation zu übernehmen.
Die Entwicklung eines passenden Rollensets war das Herzstück der Prozessarbeit auf dem Weg zum selbststeuernden Team. Aus den verschiedenen Aufgaben einer Abteilungsleitung entstanden acht neue Rollen. Beispielsweise eine Personalerin, ein Teamcoach, eine Koordinatorin, eine Repräsentantin und vieles mehr.

Jede dieser Rollen wurde in vier Schritten definiert :

  • Wie heißt die Rolle?
  • Was ist der konkrete Auftrag?
  • Was sind die messbaren Zielsetzungen?
  • Wie lauten die konkreten Spielregeln?

Hier wird deutlich, dass ein selbstorganisiertes Team kein machtfreier, chaotischer Raum ist. Es ist eine Gruppe, in der Kompetenzen und Entscheidungsbefugnisse auf mehreren Schultern aufgeteilt werden können.

4. Neues Mindset- Haltung schlägt Tool!

Klare Führungsstrukturen und fest definierte Prozesse geben Mitarbeitenden ein Gefühl der Sicherheit. Auf dem Weg zur Selbstorganisation sind aber auch ein neues Mindset und ein Umdenken gefragt: Innere Stabilität und Haltung ersetzen äußere Sicherheit und Strukturen.
Eigentlich erscheint das sehr logisch: War ich es gewohnt, dass wichtige Entscheidungen im Wesentlichen von anderen für mich getroffen werden, kann ich mich dahinter verstecken und die Verantwortung auf die „da oben“ schieben. Dieses Muster bricht die Selbstorganisation auf. Ich muss Entscheidung treffen, die Verantwortung übernehmen und schlimmstenfalls dafür im Gegenwind stehen. Ich muss einen Handlungsrahmen entwickeln, was ich allein entscheiden kann, an welcher Stelle ich das Team einbeziehe und wo ich doch noch von der Hierarchie abhängig bin. Das hört sich vielleicht einfach an, aber auch hier haben wir im Begleitprozess sehr viel Zeit aufgewendet, diese konkreten Einzelfragen zu diskutieren und Lösungen zu finden.
Dazu gehört eine hohe Bereitschaft zur Selbstreflexion, zur Fehlerbesprechung und zum gegenseitigen Feedback. Die ursprüngliche Kontrolle einer Führungskraft wird im Idealfall durch die soziale Kontrolle und die Bereitschaft zum Feedback durch das Team ersetzt. Dazu sind allerdings nicht alle Mitarbeitenden fähig und bereit. (Siehe Reifegrad des Teams) Gegebenenfalls müssen im Einzelfall andere Lösungen gefunden werden.

5. Agile Prinzipien

Das Erfolgskriterium ist eng mit dem neuen Mindset verbunden. Dennoch halte ich es für wichtig, erneut einige wichtige Punkte vorzustellen, ohne die Selbstorganisation meines Erachtens nicht funktioniert:


Zusage


Ich brauche von jedem Teammitglied die klare Zusage und muss die echte Verpflichtung spüren, den gemeinsamen Weg mitzugehen. Lippenbekenntnisse helfen hier nicht weiter. Im Rahmen des Prozesses treten immer wieder Schwierigkeiten auf und nur, wer sich darüber im Klaren ist und verbindlich zusagt, ist bereit dazu, sich letztendlich damit auseinanderzusetzen und Hindernisse aus dem Weg zu räumen.


Einfachheit


Richtig ist, was funktioniert. Sehr häufig tendieren wir dazu, alles genau durchzuplanen und im Vorfeld alle Eventualitäten zu klären. Und dann kommt es letztendlich doch anders, als gedacht. Selbstorganisation lebt in gewisser Weise vom Trial-and-Error-Prinzip. Das heißt, es lebt von der Bereitschaft, auch mal Fehler machen zu können und mit einem noch nicht perfekten Ergebnis zu arbeiten.


Feedback und Kommunikation


Ein zentraler Aspekt für selbstführende Teams ist die Bereitschaft aller Mitglieder, offen Feedback zu geben und den Mut zur Ehrlichkeit nicht zu verlieren. Natürlich entwickelt sich eine Feedbackkultur nicht von heute auf morgen. Sie ist ein Prozess, der Zeit und Begleitung braucht. Der offene Austausch ist aber unabdingbar, um ein Augenverschließen vor unangenehmen und schwierigen Themen zu verhindern. Weg von der „Müsste sich mal jemand kümmern“, hin zur „Meine Verantwortung“-Mentalität.


Fokus


Als Teammitglied fokussiere ich mich auf meine Aufgaben und meine Zuständigkeiten. Das heißt, ich muss nicht immer über alles informiert sein und habe das Vertrauen, dass meine Kollegen und Kolleginnen im Rahmen ihrer Kompetenzen auch ihre Jobs erledigen. Selbstorganisation heißt nicht „Basisdemokratie“ und alle Entscheidungen endlos im gesamten Team diskutieren, sondern dass ich Verantwortung für meine Aufgabe übernehme und diese mit viel Engagement ausführe.


Transparenz


Selbstorganisation erfordert maximale Transparenz im Team. Das heißt, ich lege die Karten offen auf Tisch. In der Umsetzung bedeutet das: Jeder kann meinen Kalender und meine Auslastung ansehen. Das Team nutzt gemeinsame Kollaborationstools, damit alle einen Überblick über aktuelle Projekte und Aufgaben der anderen erhalten. Dadurch bin ich im Zweifelsfall sprachfähig und weiß zumindest grob über die To Do’s der anderen Bescheid.

6. Begleitung und Kommunikationsräume schaffen

Mitarbeitende in selbstorganisierten Teams brauchen teilweise neue und andere Kompetenzen. Diese fallen nicht vom Himmel, sondern müssen in einem kontinuierlichen Prozess gemeinsam erarbeitet werden. Einerseits braucht es dafür Kommunikationsräume, die Freiraum bieten um neue Erkenntnisse zu vertiefen, umzusetzen und im kontinuierlichen Austausch zu sein. Gerade in der Initialphase haben wir in unserem Fall mehrere Workshoptage angesetzt, um dann in einen monatlichen Retro-Prozess überzugehen. Besonders in dieser Anfangszeit braucht es eine Begleitung von außen, die gemeinsam mit dem Team Dynamiken reflektiert, moderiert und regelmäßig inhaltliche Impulse zum Thema New Work und agilem Arbeiten bietet. Darüber hinaus fällt ihr auch der Job der kritischen Reflexion zu. In diesem Prozess war das meine Rolle.

7. Die Organisation mitnehmen

Neben der Transparenz im Team ist die klare und deutliche Kommunikation in die Organisation ein letzter, wichtiger Punkt. Zum einen löst der Schritt in die Selbstorganisation mit einem Pilotteam Unsicherheiten und Fragen aus. Beispielsweise wollen Führungskräfte wissen, was diese Entwicklung für sie und ihre Rolle bedeutet. Zum anderen brauchen andere Abteilungen Klarheit über neue Zuständigkeiten und Ansprechpartner:innen. Diese Kommunikation nach außen fand im hier skizzierten Prozess nach etwa 3,5 Monaten Vorbereitungsphase statt. Für das Team war es wichtig, einen offiziellen Starttermin mit der Präsentation der zusätzlichen, neuen Rollen zu haben. Im Anschluss fand durch die Organisation ein erneuter „Rütteltest“ statt. Hier wurden kritische Fragen gestellt, auf Lücken hingewiesen und das ganze Konstrukt geprüft. Das ist sinnvoll und gewünscht, solange es respektvoll und konstruktiv bleibt.

Fazit nach erster Umsetzungsphase


Die Abteilung arbeitet jetzt seit circa fünf Monaten als selbstführendes Team. Das Team schildert, dass es insgesamt gestärkt aus diesem Prozess hervorgegangen und der Zusammenhalt gefestigt ist. Das Hineinwachsen in die neuen Rollen ist teilweise noch ein Herantasten und Testen. Allerdings stellen operative Alltagsaufgaben Hindernisse dar, da die neuen Rollen ja zusätzlich zu den schon vorher bestehenden Aufgaben übernommen wurden. Das Team hat sich gemeinsam ein Kollaborationsboard erstellt, alle Teammitglieder haben im Blick, was die anderen tun. Die bisher nicht-selbstorganisierten Abteilungen im Unternehmen haben das neue „Betriebssystem“ weitgehend akzeptiert, es gab es keine größeren Konflikte. Ganz im Gegenteil. Die Neugierde ist geweckt und andere Führungskräfte nehmen das Pilotprojekt als Inspiration für ihr eigenes Team.

Insgesamt ziehe ich ein sehr positives Fazit, wenngleich es noch offene und ungeklärte Fragen gibt, die im Prozess immer wieder auftauchen:

An diesen Fragen erkennt man, dass Selbstorganisation in Teams nicht mit einem „Fingerschnipsen“ eingeführt werden kann. Es bedarf einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess und Weiterentwicklung. Die Ergebnisse in unserem vorliegenden Fall sind aber durchaus als ermutigend einzustufen. Sie geben Anlass dazu, nach dem Piloten weitere Schritte in Richtung Selbstorganisation zu gehen.

Weitere Impulse zum Thema Selbstorganisation:

Falls Sie Interesse an sich selbst steuernden, agilen Teams und New Work haben, rufen sie mich an.